Leben im Technotop - Technosophie

Interviews

„Nur der faire Wettbewerb schafft Wohlstand“

Henkel InterviewEin Interview mit Hans-Olaf Henkel.
geführt in der Berliner Wohnung mit U. Grün und S. Reusch
In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 15 (2010) Nr. 30, S. 74-79

„Nehmen Sie die Bundesliga: Was für eine langweilige Veranstaltung wäre das, wenn es da nur Freundschaftsspiele gäbe. Und auf der anderen Seite will man nichts vom Wettbewerb wissen, wenn es um den sozialen Alltag geht. Dabei kommt es nur darauf an, dass man über die richtigen Regeln für den Wettbewerb verfügt. Wir brauchen keine freie, sondern eine regulierte Marktwirtschaft.“

„Wir sind ein Land, das sich aus Bundesländern zusammensetzt, die um die besten Schulen und Universitäten konkurrieren könnten. Doch stattdessen ist bei jeder Kultusministerkonferenz das Prinzip der Einstimmigkeit oberstes Gebot. Auch die Exzellenz-Initiative für die Universitäten ist kein Wettbewerb, das ist bestenfalls ein Schönheitswettbewerb! Hier wird jemand prämiert für etwas, das er tun will – nicht für das, was er tut..“

„Aber haben Sie von deren Parteibonzen ein einziges Mal vernommen, dass man das System ändern will? Keiner von denen sagt, dass man Volksbefragungen einführen will. Es geht immer nur um Stuttgart 21, nicht um mehr Mitspracherecht! Es gibt keine Demokratie, in der die Parteien so viel zu sagen haben und die Bürger so wenig.“

„Allerdings führt das bürokratische Betriebsratssystem auch dazu, dass die Betriebsräte Personalarbeit verrichten müssen, die eigentlich die Chefs zu leisten hätten. Ich habe es oft erlebt, dass jemand mit eienr Sorge zu seinem Chef kommt und der sagt: »Gehen Sie doch zum Betriebsrat«.“

„Ich bin begeistert von dem, was in Tunesien und Ägypten passiert. Es wäre schön, wenn weitere islamische Länder das Dreieck mit den Seiten Marktwirtschaft – Menschenrechte – Demokratie einführen würden.“

Foto: S. Reusch

„Technik, Körper und (Ko-)Evolution“

Erlach Interview Ein Interview von Stefan Höltgen.
geführt anlässlich eines Vortrags an der TU Berlin
In: Telepolis, www.heise.de, 29.03.2010

„Zunächst einmal erscheint mir der Gedanke sehr faszinierend, dass unser Körperbau in seiner Gestalt von der Herstellung und Benutzung des Faustkeils geprägt ist. Nach 150 Jahren ist die Vorstellung, dass sich wir Menschen evolutionär aus tierischen Vorläufern entwickelt haben, sehr geläufig. Nur soll dies ja eine biologische Theorie sein. Daher denkt man wohl zunächst nicht daran, dass Steine – oder genauer gesagt die Steintechnologie – zur biologischen Evolution des Menschen dazu gehören könnten. Wenn man diesen Gedanken aber ernst nimmt, dann wären wir ohne Steinwerkzeuge nie das geworden, was wir heute sind.“

„Wenn wir erst einmal die angebliche Peinlichkeit zugegeben haben, einen gemeinsamen Vorfahren mit den Affen zu haben, dann können wir das mit den paar Steinen doch auch noch zugeben. Denn welchen spezifischen Unterschied sollte das dann noch ausmachen? Eben den entscheidenden Unterschied überhaupt! Wenn technisches Handeln in Form des Werkzeuggebrauchs den Menschen zum Menschen macht, ihn also im biologisch-anthropologischen Sinn vom Tiere abgrenzt, dann darf man sich auch überlegen, ob der Mensch in seiner seit der Antike geläufigen Definition als ‚animal rationale' überhaupt richtig bestimmt ist. Diese Definition fasst die Vernunft als sogenannte ‚differentia specifica' – also als wesentliches Unterscheidungskriterium – zum Tier auf. Nun aber ist es auf einmal die Technik, das technische Handeln. Die Vernunft wäre dann historisch, anthropologisch und vielleicht auch ontologisch sekundär. Hier stellt sich allenfalls die Frage, wie peinlich es uns ist, wesentlich Techniten zu sein.“

„Der SMS-Daumen scheint mir ein besonders skurriler Treppenwitz der Technikgeschichte zu sein. In der Tat geben sehr körpernahe Techniken häufig Anlass, über die evolutionäre Wirkung nachzudenken; dazu gehört sicher auch die Annahme, dass der Gebrauch von Brillen die Menschheit bald kurz- (oder war es weitsichtig?) werden lässt. Nicht auszudenken, was die regelmäßige Benutzung von Stühlen für das Hinterteil bedeuten mag … “

Foto: S. Höltgen

„Wir müssen uns dem Bösen stellen“

Safranski InterviewEin Interview mit Rüdiger Safranski.
geführt in der bibliophilen Wohnung mit N. Kaufmann und S. Reusch
In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 9 (2003) Nr. 17, S. 70-77

„Das ist der positive Aspekt der Globalisierung; es gibt eine Weltöffentlichkeit. Bei bestimmten Grausamkeiten entsteht zumindest eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Weltöffentlichkeit. Das zeigt, dass der Standard da ist, man kann ihn zurückweisen, aber er ist da. Das ist auch die Hoffnung, die Kant in solche Prozesse gesetzt hat, wenn er von der Publizität spricht.“

„Die alten Marxisten sagten immer: »Das ökonomische Sein bestimmt das Bewusstsein.« Heute sagen das die Neoliberalen.“

„Es gibt unterschiedlich starke Menschen, da hat Nietzsche gar nicht Unrecht. Stärke bedeutet mit Unsicherheiten leben zu können und so hat übrigens auch Hegel das Verhältnis von Herr und Knecht definiert. Warum ist der Herr Herr und warum ist der Knecht Knecht? Hegel sagt: Der Knecht gibt einen Teil seines Lebens an den Herrn ab, weil er Sicherheit haben möchte, und der Herr ist deswegen Herr, weil er dem Tod ins Auge geblickt hat. Das hängt auch mit der Lebenskraft zusammen. Eine größere Lebenskraft kann viel, mehr Unsicherheiten ertragen. Unsere westliche Kultur ist besonders stark auf Sicherheit programmiert und das erzeugt natürlich auch ganz große Schwächen. Je mehr man Sicherheit will, umso mehr gewöhnt man sich auch an sie und umso hysterischer wird man bei jeder kleinen Unsicherheit. Religionen sind unter anderem auch große imaginäre Versicherungssysteme.“

Foto: S. Reusch

„Wir haben noch jedes Medium niedergerockt“

Küppersbusch InterviewEin Interview mit Friedrich Küppersbusch und Mike Sandbothe.
geführt am Rande einer Medientagung in Berlin mit U. Grün und S. Reusch
In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 7 (2001) Nr. 13, S. 60-67

„Ich meine damit, dass die Euphorie und die Heilssehnsucht, die mit jedem massenmedialen Technologieschub einhergegangen ist, sich immer schnell wider legt. Zu sagen: Im Internet geht die Sonne auf, da werden keine kommerziellen Interessen verfolgt, da werden kein Zensurinteressen greifen, sondern da wird praktisch vom Medium aus eine Heilung auf den Menschen ausgeübt – dagegen verweigere ich mich weiterhin.“

Foto: S. Reusch

„Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts.“

Kant InterviewEin Interview mit Immanuel Kant.
geschrieben in Königsberg
In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 5 (1999) Nr. 10, S.82-84

„Wenn jemand uns mit der Erzählung einer Geschichte große Erwartung erregt, und wir beim Schlusse die Unwahrheit derselben sofort einsehen, so macht es uns Mißfallen; wie z. B. die von Leuten, welche vor großem Gram in einer Nacht graue Haare bekommen haben sollen. Dagegen, wenn auf eine dergleichen Erzählung, zur Erwiderung, ein anderer Schalk sehr umständlich den Gram eines Kaufmanns erzählt, der, in einem schweren Sturm alles über Bord zu werfen genötigt wurde, und sich dermaßen grämte, daß ihm darüber in derselben Nacht die Perücke grau ward: so lachen wir, und es macht uns Vergnügen, weil wir unsern eignen Mißgriff nach einem für uns übrigens gleichgültigen Gegenstande, oder vielmehr unsere verfolgte Idee, wie einen Ball, noch eine Zeitlang hin- und herschlagen.“

„Es muß in allem, was ein lebhaftes erschütterndes Lachen erregen soll, etwas widersinniges sein. Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts. Eben diese Verwandlung, die für den Verstand gewiß nicht erfreulich ist, erfreuet doch indirekt auf einen Augenblick sehr lebhaft, dadurch, daß sie, als bloßes Spiel der Vorstellungen, ein Gleichgewicht der Lebenskräfte im Körper hervorbringt.“

»Fotos«: Keuchenius

„Philosophie – Kläranlage der Gesellschaft“

Zimmerli InterviewEin Interview mit Prof. Dr. Walther Ch. Zimmerli.
geführt in der Villa des Instituts für Philosophie der Universität Stuttgart (Dillmannstraße) mit T. Bach und S. Reusch
In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 2 (1996) Nr. 3, S.56-65

„Es gibt nur Philosophie der Technik; Technikphilosophen gibt´s überhaupt nicht. Aber wer heute systematische Philosophie betreibt und sich nicht mit Technik befaßt, ist kein Philosoph. Weil Philosophie ihre Zeit, in Gedanken gefaßt, ist.“

„Das ist natürlich ein fauler Trick, daß ich mich als Eklektiker bezeichne, denn ich füge ja immer hinzu, »Eklektiker im Sinne Leibnizens«. Und damit ist gemeint: Eklektiker im Sinne jener Phase, in der »Eklektizismus« noch kein Schimpfwort, sondern ein Adelsprädikat war für Leute, die nicht dogmatisch sind, die sich – im Sinne Hans Georg Gadamers – nicht scheuen zuzugeben, daß andere Personen auch was Richtiges gedacht haben könnten.“

Foto: S. Reusch

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