Leben im Technotop - Technosophie

Aufsätze I: Mensch und Technik

Reflexion des Möglichen Evolution der Werkzeuge?
Die technische Entwicklung mit Begriffen und Methodik der Evolutionstheorie zu erklären, erscheint sehr fruchtbar. Eigentliches Resultat sind dabei jedoch Klassifikationssystematiken für Werkzeuge und für technische Lösungsprinzipien. Technische Entwicklung muss stattdessen aus dem menschlichen Körper heraus abgeleitet werden. Erklärungen der Technik als vernunftgetriebene Kompensationsleistung eines Mängelwesens oder als unbewusste Organprojektion greifen jedoch zu kurz. Erst mit dem Prinzip der Köperausschaltung kann die Entstehung der Technik biologisch-evolutionär erklärt werden. Der Mensch erweist sich als manuell agierender Technit, dessen Körper wesentlich auf das Technische hin ausgerichtet ist. Technik ist gewissermaßen aus dem menschlichen Körper geboren.

In: Peter Fischer, Andreas Luckner, Ulrike Ramming (Hg.): Die Reflexion des Möglichen. Zur Dialektik von Handeln, Erkennen und Werten. Münster: LiT-Verlag 2012, S. 147-165
Festschrift - Christoph Hubig zum 60. Geburtstag

Die Natur des Menschen Die Geburt der Technik aus dem menschlichen Körper
Mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften sind zahlreiche Erkenntnisse über den Menschen zusammengetragen worden, die sich nicht von alleine zu einem stimmigen Gesamtbild fügen. Dadurch ist das kompakte Menschenbild des vernünftigen Lebewesens, mit dem der Mensch bereits in der griechischen Antike als zoon logon echon begrifflich gefasst worden ist, fraglich geworden. Ist der Mensch als ‘vernünftiges Tier’ in seinem Wesen noch korrekt bestimmt?
Hier soll nun die Frage nach der Natur des Menschen im Hinblick auf das ursprünglich technische Vermögen des Menschen untersucht werden. Die dabei verfolgte Hauptthese ist, dass sich die Natur des Menschen in seiner Technik zeigt: ‘homo natura’ ist homo technicus. Mensch sein und Techniker sein fallen damit in eins. Daraus folgt dann aber auch, dass unser Technikbild unser Menschenbild bestimmt – und umgekehrt. Mit der Frage ‘Was ist Technik?’ beantwortet man immer auch die Frage ‘Was ist der Mensch?’. Dazu gibt es grundsätzlich zwei polare Ansichten. Nach der ersten wird Technik erfunden als eine notwendige Ausstattung zur Sicherung des Überlebens. Nach der zweiten entsteht Technik als ein originär biologisches Phänomen zur freien Entfaltung des Lebens. Insbesondere vermöge seiner Hand erweist sich der Mensch als Technit, der sein Technotop einrichtet und bewohnt. Die Natur des Menschen besteht also darin, dass schon sein Körper Grundzüge des Technischen trägt, die Technik also gewissermaßen aus dem menschlichen Körper geboren wird.

In: Myriam Gerhard, Christine Zunke (Hg.): Die Natur des Menschen. Aspekte und Perspektiven der Naturphilosophie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2012, S. 49-72
Beitrag zur Tagung der Forschungsstelle Kritische Naturphilosophie an der Universität Oldenburg

DBR09 Naturlos Der Körper des Menschen als Quelle der Technik
Die erstaunlichste Wirkung des menschlichen Körpers ist die Technik. Egal wie man den Körper und seine organischen Fähigkeiten auch deutet, es kommen immer technische Artefakte heraus. Im Vergleich zu spezialisierten Tieren erscheint der Mensch als ein biologisches Mängelwesen, das erst durch eine technische Steigerung seiner organischen Fähigkeiten überlebensfähig gemacht werden kann. Betrachtet man die Gestalt der Werkzeuge näher, so scheinen sie gar als Projektion natürlicher Organe zu entstanden zu sein; die Technik wäre dann ein Abbild des menschlichen Körpers. Wählt man den zeitlichen Horizont groß genug, dann geht die Entwicklung des Werkzeuggebrauchs mit der biologischen Evolution der menschlichen Gattung einher – Werkzeug und Skelett bilden eine untrennbare Einheit in einem biologischen Prozess. Und schließlich besitzt der Körper mit der Hand ein zur Technik ganz besonders gut geeignetes Organ, so dass sich auch moderne Technologien auf sechs Grundtypen der Gestik zurückführen lassen.

In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 14 (2008) 26, S. 50-54

Acatech Technologische Innovationen Wer oder was treibt Technik (an)? – Von der Eigendynamik zur Gestaltungsfreiheit
Technisches Agieren zeigt ein doppeltes Antlitz. Auf der Makroebene beobachtet man in der ersten Ansicht eine merkwürdige Eigendynamik der technischen Entwicklung. Die Technik treibt die Technik an. Dieses ganze Getriebe wird jedoch erst dann verständlich, wenn man es auf jene anthropologische Prämisse aufbaut, die die Technik als Notwendigkeit der Überlebenssicherung definiert und dabei den Menschen als „Mängelwesen“ herabstuft. Der Mangel erscheint als Antrieb der Technik. Darauf aufbauend behauptet die gängige Neutralitätsthese, dass technische Artefakte im Prinzip für beliebige Zwecke einsetzbar, also neutral sind.

In einer zweiten Ansicht ist jedoch auf der Mikroebene einzelner Techniken die Gestaltungsfreiheit beim zielorientierten technischen Handeln festzuhalten. Einzelne menschliche Subjekte treiben aktiv Technik voran. Hier nun braucht man eine Anthropologie, die die technische Eignung des Menschen betont. Der Mensch hat als manuell agierender Technit mit der Hand das technisch brauchbarste Organ überhaupt. Nicht erst die existentielle Not führt zur technischen Tugend, sondern Technik ist die ursprüngliche Tugend des Menschen. Die Notwendigkeiten des menschlichen Lebens sind dann als ein Sich-Wohl-Befinden ganz anders bestimmt. Technik dient nicht mehr bloß dem schieren Überleben, sondern vor allem dazu, sich den Sinn im Leben zu erfinden. In der Betonung der Gestaltungsfreiheit aber stellt sich auch die Frage nach der Normativität der Technik in anderer Weise. Das hier erarbeitete Gestaltungstheorem besagt, dass technische Artefakte mit ihrer jeweils konkreten Gestalt unabhängig vom Anwendungskontext nicht für beliebige Zwecke gleichermaßen gut geeignet sind. Dies wird am Beispiel der Unterschiede zwischen Küchenmesser, Kampfmesser und Matrosenmesser verdeutlicht.

Die Gestaltungsfreiheit zeigt sich bei der Planung und beim Betrieb von Fabriken in den vier voneinander unabhängigen Zieldimensionen Variabilität, Qualität, Geschwindigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Schwierigkeit liegt nun darin, dass Maßnahmen zur Verbesserung einer Zieldimension oft zur Verschlechterung des Zielerreichungsgrades bei den anderen Dimensionen führen. Aufgabe der Produktionsoptimierung ist es, die Effizienz der Produktion im Hinblick auf diese vier einander widerstrebenden Zieldimensionen beständig zu steigern. Als Antrieb technischer Entwicklung erweist sich ‚homo efficiens’, der sein technisches Handeln zu höchster Effizienz optimiert. Diese Bestimmung ist zu unterscheiden vom eindimensionalen, ausschließlich am finanziellen Gewinn ausgerichteten ‚homo oeconomicus’. Eine entsprechend auszuarbeitende Theorie der poiëtischen Vernunft würde ein vernunftgeleitetes Herstellungsvermögen in diesem Sinne beschreiben.

In: Bedingungen und Triebkräfte technologischer Innovationen. Beiträge der gemeinsamen Workshops der Stiftung Brandenburger Tor mit acatech. Stuttgart 2007, S. 119-140

Konzepte SFB 230 Gespenster und Marionetten. Zur Modellübertragung zwischen Natur und Technik
Die Übertragung von Konzepten im interdisziplinären Dialog kann auf drei Ebenen erfolgen. Beim Begriffstransfer erfolgt eine Übertragung von Bedeutungen in ein anderes Fachgebiet, zumeist durch die auf materialen Analogien beruhenden Metaphern. Basierend auf einer formalen Analogie zwischen Modellen eines biologischen und technischen Objektes kann ein Ideentransfer erfolgen, der zu einer neuen Konzeptualisierung der jeweiligen Objektbereiche führt. Diese Modellübertragung liefert ein technomorphes respektive ein biomorphes Modell. Die übertragenen Modelle begleitend kann zudem ein Methodentransfer erfolgen, durch den Berechnungsverfahren in einer anderen Disziplin anwendbar gemacht werden.
Als problematisch erweist sich die Modellübertragung, wenn sie zur Projektion verleitet. Dann erscheint der technomorph modellierte Mensch als in seinem Wesen 'maschinenhaft'. Der Organismus wird zur 'Marionette'. Umgekehrt erscheint die in ihrem Verhalten biomorph modellierte Maschine als 'beseelt'. Durch Projektion wird die Maschine in ihrem Scheinleben bloßer Bewegung zum 'Gespenst'.

In: Reinhardt, Hans-Wolf; Reiner, Rolf (Hg.): Natürliche Konstruktionen in Raum und Zeit. Stuttgart: IWB 2001, S. 436-444

Kornwachs Technik – System – Verantwortung Gesten der Handhabung. Vom Mißverständnis des Menschen als Mängelwesen
Das menschliche Dasein vollzieht sich in der Weise technischen Existierens. Eine der Weisen, die weltgestaltenden Möglichkeiten des technisch handelnden Menschen aufzufassen, ist eine an der Notwendigkeit des schieren Überlebens orientierte. Befindet sich der Mensch demnach in einer fundamentalen Mangelsituation, erscheinen Techniken fälschlicherweise ausschließlich als Prothese am Menschen. Die Technizität des Menschen ist jedoch kein Ausgleich eines Organmangels, sondern ein Ergebnis der besonderen Eignung des natürlichen Organs 'Hand'. Aus der hier entwickelten Typologie der Gestik kann eine allgemeine Systematik des technischen Agierens gewonnen werden. Trotz seiner natürlichen Eignung zum technischen Handeln steht der Mensch vor dem Problem einer Anthropodizee, d.h. dem Versuch einer Rechtfertigung des Menschen angesichts der von ihm trotz seiner ingeniösen Allmacht und effizienten Kunstfertigkeit zugelassenen Funktionsmängel, Unvernunft und Entfremdung.

In: Kornwachs, Klaus (Hg.): Technik – System – Verantwortung. Münster: Lit-Verlag 2004, S. 331-345

DBR09 Naturlos Der Mensch im Technotop
Der Techniker: Homo Technicus – Das menschliche Dasein vollzieht sich in der Weise technischen Existierens.

Der glückliche Spieler: Homo LudensDie Techniken dienen der Erzeugung des objektiv Überflüssigen: heute so gut wie in der Steinzeit.

Das ausstaffierte Mängelwesen: Homo InermisDie Techniken dienen der Bewältigung von Überlebensaufgaben angesichts einer mangelhaften Ausstattung des menschlichen Körpers.

Der waghalsig Unwissende: Homo InsciusTechnisches Handeln ist immer auch ein riskantes Handeln.

In: Der blaue Reiter – Journal für Philosophie 5 (1999) 9, S.44-47

Konzepte SFB 230 Technomorphe Konzepte in der Anthropologie am Beispiel der Kybernetik
Mit der zunehmenden Technisierung sind technomorphe Welterklärungskonzepte entwickelt worden, die auch auf das Selbstverständnis des Menschen Anwendung gefunden haben. Diese Bewegung hin zu einer maschinalen Anthropologie wird unter Zuhilfenahme der Modelltheorie nachgezeichnet und am kybernetischen Menschenbild exemplarisch ausgeführt.
Prinzipielle Grenzen von Maschinenmodellen werden in der Ausarbeitung des Konzeptes der Modellübertragung aufgezeigt. Die semantische Interpretation kann nicht von einem Objektbereich – der Maschine – über dessen Modellierung auf das Modell des anderen Bereiches übertragen und dann auf dessen Objekte – den Menschen – projiziert werden. Durch diese Projektionen erfolgt ein ontologischer Fehlschluß, der den Menschen zur Marionette und im umgekehrten Fall die Maschine zum Gespenst macht. Die Modelle bewußter Maschinen stellen sich in fünf Typen kybernetischer Automaten dar.

In: Die mechanische und die organische Natur. Beiträge zum Naturverständnis. Konzepte SFB 230 Heft 45, Stuttgart 1995, S.63-101

Cover Zoglauer Organismuskonzepte Anthropologische Aspekte des Maschinenbegriffs
Eine geläufige Auffassung der Technikphilosophie ist die Behauptung, Technik sei eine Ergänzung und Komplettierung des menschlichen Körpers. Die früheste Technik zeigt sich in Werkzeugen. Eine besonders „hautnahe“ Art dieser Werkzeuge sind die Prothesen; das sind die unorganischen Prothesen am organischen Körper, die den letzteren komplettieren sollen. Was sind nun die Möglichkeiten und Eigenschaften einer Modellübertragung, mit der technomorphe Organismuskonzepte fundiert werden sollen?

In: Maier, Wolfgang; Zoglauer, Thomas (Hg.): Technomorphe Organismuskonzepte. Modellübertragungen zwischen Biologie und Technik. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 1994, S.134-161

Cover Kornwachs Technikfolgenabschätzung Gibt es eine Pflicht zu wissen? ­ Ein sokratischer Dialog
Auf dem Uni-Campus in Stuttgart unterhält sich Sokrates mit einem Maschinenbau-Sudenten über Möglichkeiten und Grenzen der Technikfolgenabschätzung.

Volltext online

In: Kornwachs, Klaus (Hg.): Reichweite und Potential der Technikfolgenabschätzung. Stuttgart: C. E. Poeschel 1991, S.199-225

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